Wissen 2007
von Petra Steinberger 19. 3. 2007 In den USA ist die Mehrzahl aller Bienen verschwunden. Weil eine klare Ursache fehlt, spekulieren Forscher über das Ende der Insektenart. Sie sind weg. Haben den Stock allein gelassen, die junge Brut nicht mehr versorgt. Sind nie wieder aufgetaucht, die älteren, erwachsenen Bienen. Haben auch keine Toten zurückgelassen. Millionen und Abermillionen Bienen in Nordamerika sind einfach verschwunden im Lauf der vergangenen Monate. Und immer mehr amerikanische Imker, die in diesen ersten warmen Wochen nach dem Winter zum ersten Mal ihre Bienenstöcke wieder öffnen, berichten dasselbe. «So etwas habe ich noch nie gesehen», sagte der kalifornische Bienenzüchter David Bradshaw schockiert einer amerikanischen Zeitung. «Ein Stock nach dem anderen war einfach leer. Es sind keine Bienen mehr daheim.» An der amerikanischen Westküste sind fast 60 Prozent der Bienenvölker kollabiert, an der Ostküste und in Texas sind es mehr als 70 Prozent. Mehr als die Hälfte aller Bundesstaaten ist betroffen und Teile Kanadas. Dasselbe passiert auch in Spanien und in Polen. Aus Deutschland gibt es die ersten Berichte und auch aus der Schweiz – nur hat das Bienensterben bisher nirgendwo solche Ausmasse angenommen wie in den USA. Es ist ein seltsames, geradezu unheimliches Phänomen, das die Bienenvölker heimsucht. Die Wissenschaft hat ihm jenen Namen gegeben, den sie reserviert hat für etwas, was sie noch nicht, vielleicht nie erklären kann: «disorder» (Störung). Man spricht von «Colony Collapse Disorder», von einer Störung namens Bienenvolk-Kollaps, kurz CCD. Über die Symptome weiss man ziemlich viel: In betroffenen Kolonien fehlen alle erwachsenen Bienen, und es liegen auch, wie normalerweise üblich, keine toten Bienen in der Nähe. Die Bienen fliegen fort und sterben irgendwo draussen. Vorräte an Honig sind da und die nicht ausgewachsenen Bienen, die nun verhungern. Eine Kolonie, die mitten im Zusammenbruch steckt, mag von aussen ganz normal wirken. Aber innen gibt es viel zu wenige, viel zu junge Arbeiterinnen. Und schliesslich kommt etwas Eigenartiges hinzu: Normalerweise werden die Stöcke eines Volkes, das an Krankheiten stirbt oder in einem kalten Winter verhungert, sofort von anderen Bienen oder Stockräubern ausgeplündert oder von Plagen wie Wachsmotten übernommen. Diesmal aber dauert es mindestens zwei Wochen, bis die Plünderer kommen. «Eine
Warnung an uns» Es geht nicht nur um die Bedrohung einer Tierart, auch nicht um das Bienensummen im Frühling oder den Honig, der uns fehlen wird – zumindest ökonomisch gesehen ist er ein angenehmes, aber eher unwichtiges Nebenprodukt. Die Menschen brauchen die Bienen dringend, denn etwa ein Drittel der menschlichen Nahrung ist direkt oder indirekt von ihnen abhängig: Äpfel, Birnen, Pflaumen, ein Grossteil des Obstes wird zu 80 bis 90 Prozent von Zuchtbienen bestäubt, ebenso Mandelbäume, Melonen, Peperoni, Kürbisse, Himbeeren und etwa 90 andere Obst- und Gemüsesorten – aber auch Viehfutter wie Klee oder Alfalfa. «Wenn Sie einen Hamburger essen, dann verdanken Sie das indirekt den Bienen», sagt Berenbaum. Manche Farmer versuchen, die Bäume mit Hilfe riesiger Ventilatoren zu bestäuben, oder sie experimentieren mit Hummeln und anderen Insekten. Aber wirkliche Alternativen zur Bestäubung durch Bienen gibt es nicht, Wildvölker existieren kaum noch, schon gar nicht in den riesigen Monokulturen, und andere Insekten würden diese Mengen nicht schaffen. Den durch Bienenbestäubung erwirtschafteten Wert schätzen Forscher allein für die USA auf bis zu 18 Milliarden Dollar. In Europa sind es immerhin bis zu 5 Milliarden Euro. Durch ihre Leistung bei der Bestäubung gelten Bienen in Europa nach Rindern und Schweinen als das drittwichtigste Haustier – noch vor dem Geflügel. «Eigentlich ist es eher merkwürdig, dass die Bienen es so lange ausgehalten haben», sagt der Bienenforscher und Soziobiologe Jürgen Tautz vom Biozentrum der Universität Würzburg. Ein Bienenvolk ist ein extrem komplexer Superorganismus, der sich über Jahrmillionen an die widrigsten Umstände angepasst hat. «Doch in den letzten zehn Jahren sind sie schwach geworden», sagt Tautz. «Vor allem der Stress ist zu viel.» Die grösste Bienenplage war bisher die Varroa-Milbe, ein Parasit, der die Tiere aussaugt. Noch vor zehn Jahren brauchten Forscher in ihren Versuchen zehnmal so viele Milben wie heute, um einen Stock zu töten. Aber Varroa ist es diesmal nicht. Monokulturen,
Pestizide, Parasiten Inzwischen fehlt den Bienen auch der Mensch, der ihnen Unterkunft bietet. In der freien Natur ist kaum noch Platz für sie. Aber auch die Imker sterben aus, weil sie oft Hobby-Imker sind, Pensionäre, die sich die Anschaffung neuer und die Versorgung kranker Völker in jedem Frühling aufs Neue nicht mehr leisten können. In Amerika ist die Zahl der Bienenzüchter drastisch zurückgegangen, auch deshalb, weil sich das Geschäft konsolidiert hat. Denn ein Geschäft ist die Imkerei in den USA zumindest teilweise geworden – ironischerweise gerade deswegen, weil es nur noch so wenige Bienen gibt. Mobile Bienenzüchter Doch wenn solche kommerziellen Halter vom «Colony Collapse Disorder» getroffen werden, dann kann das der Ruin bedeuten. Ein Imker aus Pennsylvania investierte umgerechnet über 18 000 Franken, um seine Bienen zur Bestäubung der Mandelblüten nach Kalifornien zu bringen. Als er dort ankam, war keine einzige Kolonie mehr am Leben. Auf einen Satz verweisen betroffene Bienenzüchter und nüchterne Bienenforscher inzwischen immer wieder, einen Satz, den Albert Einstein einmal gesagt haben soll: «Wenn die Biene von der Erde verschwindet, dann hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben; keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, keine Menschen mehr ...» |